Es brennt! Es ist die Zeit der Monster

Populisten, Autokraten und rechtsradikale Parteien befinden sich im Aufwind. Eine gefährliche, weltweit zu beobachtende Entwicklung, für die der italienische Philosoph und Kommunist Antonio Gramsci bereits 1937 die passenden Worte fand: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren. Es ist die Zeit der Monster.“

Entsetzt blicken Demokraten, aufgeklärte und mit einem gesunden Maß an Empathie und Anstand durchs Leben gehende Menschen auf Chemnitz. Ein Mensch wurde umgebracht, und als sei diese Straftat an sich nicht schlimm genug, instrumentalisiert die AfD das Verbrechen für ihre niederen Zwecke. AfD-Mitglieder gingen mit „Pegida“, mit der rechtsradikalen Organisation „Pro-Dresden“ sowie mit Nazis auf die Straße, nahmen Gewalt, den Hitlergruß und Auseinandersetzungen zumindest in Kauf. Jetzt gibt es für die AfD kein „Ja, aber…“ mehr. Die Partei lässt sich mit Rechtsradikalen ein. „Wer sie wählt, wählt Nazis“, hat es der „Spiegel“ auf den Punkt gebracht. Das sollte allen Bürgern klar sein, die diese Partei unterstützen und ihr in den Protest folgen. Und das sind viele. Die AfD schickt sich an, hinter CDU/CSU zweitstärkste Kraft zu werden. Unfassbar, wie viele Anhänger die Partei mit ihrer simplen, zu nichts als Hass und Gewalt führenden Polemik gegen das Fremde, gegen Migranten und Flüchtlinge mobilisieren kann. Dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in dieser Situation von der Migration als „Mutter aller politischen Probleme in Deutschland“ spricht, ist an Dummheit nicht zu überbieten.

Da der Umkehrschluss, alle Wähler der AfD als rechtsradikal einzustufen, nicht zulässig ist, bedarf es einer tieferen Analyse. Was passiert da gerade? Es ist sicherlich richtig, im Falle Chemnitz und mit Blick auf die neuen Bundesländer überhaupt die Zeit nach der Wende zu thematisieren. Mit dem Ende der DDR ging Identität verloren, wurden Biographien gebrochen und entwertet. Vielleicht ist die Popularität der AfD in den neuen Ländern auch ein Echo der SED-Diktatur. Es klingt durchaus plausibel, dass manche Bürger mit DDR-Vergangenheit in totalitäre Muster verfallen, statt sich in den demokratischen Meinungsbildungsprozess einzuklinken.

Alles hängt mit allem zusammen

Dennoch: So wichtig und richtig solche Erklärungsansätze auch sind: Sie greifen zu kurz. Um dem Rechtsruck wirklich entgegenwirken zu können, müssen wir in größeren, globalen Zusammenhängen denken. Es spielt den Rechtsradikalen und Populisten in die Hände, dass sich offenbar bei vielen Menschen eine Unsicherheit breit macht, die eng mit den zentralen Entwicklungen auf dem Planeten zusammenhängt. Es brennt an vielen Orten auf dem Globus, in sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Stabilität und eine vermeintliche Sicherheit – beides ohnehin schon immer leises Wunschdenken – scheinen verloren zu gehen.

Die Welt verändert sich rasant. Auf alte Gewissheiten und Sicherheiten ist kein Verlass mehr. Die Digitalisierung beschleunigt das Leben und verändert es grundlegend. Jobs geraten in Gefahr, Lebensentwürfe ins Trudeln. Der Hunger und die Armut weltweit, Klimawandel und Fluchtursachen, Ungleichheit und tiefe soziale Instabilität, letztlich die Jobs und die Renten hierzulande – alles hängt mit allem zusammen. Wenn in der Arktis das Eis noch stärker schmilzt, wenn sich die Lebensmittelversorgung in Afrika durch Trockenheit und Hitze noch weiter verschlimmert, wenn Wasser zur knappsten Ressource überhaupt wird und es uns nicht gelingt, die Wertschöpfung in den Armenhäusern der Welt zu verbessern – dann werden sich weit mehr Afrikaner auf den Weg nach Europa machen als in den vergangenen Jahren und aktuell.

Alles hängt mit allem zusammen | Karl-Heinz Land

Alles hängt mit allem zusammen | Erde 5.0 – Karl-Heinz Land

Viele Menschen sehen ihre eigene Verunsicherung gespiegelt in der Unfähigkeit der Politik – ob in Berlin, Brüssel oder auf multilateraler Ebene – die systemischen Zusammenhänge in einer komplexen Welt zu verstehen und vor allem zu managen. Das macht sie anfällig für einfache Parolen und Schuldzuweisungen.

Parallel dazu befindet sich die Demokratie weltweit auf dem Rückzug, die Autokratie breitet sich als Regierungsform auf dem Globus aus. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge leben 3,3 Milliarden Menschen weltweit unter autokratischen, repressiven Systemen. 40 Regierungen, darunter auch solche in fortgeschrittenen Demokratien, haben in den vergangenen zwei Jahren den Rechtsstaat beschnitten. In 50 Ländern wurden politische Freiheiten eingeschränkt. „Weltwirtschaftlichen Herausforderungen begegneten die Machthaber nur unzureichend und häufig auf dem Rücken einkommensschwacher Bevölkerungsschichten“, berichtet die Stiftung auf Basis ihres Transformationsindex`,. „Zahlreiche Regierungen finden kein Rezept gegen wachsende soziale, ethnische und religiöse Konflikte – oder schüren diese Spannungen oftmals sogar.“

Digitalisierung und technologischer Fortschritt

Es ist offenkundig: Wenn wir die Lage aller Menschen auf dem Planeten verbessern und die Demokratie wieder stärken wollen, brauchen wir eine Lösung, die der Komplexität der Probleme gerecht wird. Mit dem Insiderwissen aus 35 Jahren in der IT-Branche behaupte ich, dass uns nur die Digitalisierung und der technologische Fortschritt in die Lage versetzen, die existenziellen Herausforderungen auf einer grundlegenden Ebene zu messen, zu managen und zu meistern. Und zwar ausdrücklich zum Wohle aller Menschen auf dem Planeten. Meine Vision ist die einer engmaschig vernetzten und digital optimierten Welt, einer Erde 5.0, in der der Zugang zu Bildung und Information, zu Sozial- und Gesundheitsleistungen sowie zu Kapital und Märkten demokratisiert wird. Ich bin überzeugt: Der Zugriff auf das Netz und auf Technologie fördert wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Teilhabe und wirkt Populismus, Protektionismus und der grassierenden Rücksichtslosigkeit gegenüber Mensch und Natur effizient entgegen. Die Digitalisierung liefert den Stoff, aus dem Visionen sind, und die Möglichkeiten, den Brandstiftern den Nährboden zu entziehen.

Gleichwohl benötigt gleichzeitig der Kapitalismus eine Erneuerung – vom Shareholder Value zur Sinnökonomie, von der Verschwendungs- zur Zirkulärwirtschaft, von Lohn und Gehalt zum bedingungslosen Grundeinkommen, von unfairen Handelsverträgen zu einer gerechteren Neuverteilung der Welt. Jede Wette: Wenn wir aufhören, in den nächsten Tag lediglich hineinzustolpern, und stattdessen die Zukunft provozieren, dann fassen die Menschen wieder Vertrauen und die Zeit der Monster geht wieder zu Ende.

06/09/2018|Erde 5.0|