Erde 5.0: Total Societal Impact statt Shareholder Value

zwei Hände halten Baum und Erdkugel

„The business of business is business.“ Dieses berühmte Zitat wird dem US-Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman (1912 bis 2006) zugeschrieben. Noch heute gilt der Spruch vielen Unternehmern als ideologischer Rückzugsort, wenn sie möglichst frei von gesellschaftlichen und sozialen Verpflichtungen ihren Geschäften nachgehen möchten.

Andersdenkende, die sich über die soziale Verantwortung eines Unternehmens tiefere Gedanken machten, bezichtigte der einflussreiche, den freien Markt predigende Ökonom Friedman des „reinen und unverfälschten Sozialismus“. In der „New York Times“ schrieb er noch 1970: „Geschäftsleute, die so reden, sind unwissende Marionetten der intellektuellen Kräfte, die in den vergangenen Jahrzehnten die Grundlage einer freien Gesellschaft untergraben haben.“

Doch die Zeiten solcher Beschimpfungen sind vorbei. Eigentlich hätte schon 1972 deutlich werden müssen, dass sich die Verfechter eines radikalen Marktliberalismus auf dem Holzweg befinden. Damals veröffentlichte der „Club of Rome“ seine wegweisende Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Und seitdem war im Grunde klar, dass die fortwährende Zerstörung der Umwelt, die Ausbeutung der Ressourcen und das Wachstum der Weltbevölkerung geradewegs in existenzbedrohende Krisen führen würden.

Wir brauchen einen zweiten Planeten

Genau diese Krisen erleben wir heute: Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse und verbraucht deutlich mehr Ressourcen als der Planet erneuern kann. Nüchtern betrachtet, brauchen wir schon jetzt einen zweiten Planeten, wenn alle Menschen ernährt werden und die Konsumgewohnheiten beibehalten oder noch gesteigert werden sollen. Wir Deutschen pflegen einen Lebensstil, der eigentlich drei Planeten erfordert. Die US-Amerikaner produzieren, reisen und konsumieren unterdes als gäbe es fünf Erden. Die Weltbevölkerung wächst rasant; und die neuen Mittelschichten in Entwicklungs- und Schwellenländern lassen einen weiteren Zuwachs von Produktion und Konsum erwarten. Die Menschheit rennt ungebremst ins Verderben. Gleichzeitig sind Politik und Unternehmen damit überfordert, globale Krisen wie den Klimawandel, die Flüchtlingsbewegungen und die Ungleichheit zu bewältigen – von Kriegen, ethnischen und religiösen Konflikten einmal ganz zu schweigen.

Vielen Unternehmern – und auch ihren Angestellten – fällt es bis heute schwer, zu ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung zu stehen – ja, sie überhaupt erst einmal anzuerkennen. Einer internationalen Studie der Unternehmensberatung Deloitte zufolge sehen es nur 57 Prozent der Mitarbeiter und 53 Prozent der Manager als eine der drei wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens an, Produkte und Services auf den Markt zu bringen, die einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft haben.

Podcast: Unter dem Titel „Im Dienst des Menschen“ hat Karl-Heinz Land einen „Weckruf“ in der Zeitschrift Managerseminare veröffentlicht. Hier können Sie sich den Beitrag anhören.

Natürlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob das Glas damit halb voll oder halb leer ist und auch, worin der Beitrag der Unternehmen zur Gesellschaft eigentlich bestehen soll – oder kann. Nicht streiten lässt sich indes darüber, dass sich die Rolle der Unternehmen verändert in einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt  – Klimawandel und Hunger, Wertschöpfung und Armut, Konsum und Ressourcenverbrauch, wirtschaftlicher Erfolg und tiefe soziale Instabilität.

Business im Sinne der Gesellschaft

Je größer die Probleme werden, je mehr die Menschen diese spüren, umso stärker wird auch der Druck wachsen, den Erfolg von Unternehmen künftig daran zu messen, welchen positiven Beitrag sie für die Gesellschaft leisten. Wohlgemerkt: Unter diesem positiven Beitrag sind nicht nur Maßnahmen zu verstehen, mit denen Unternehmen außerhalb ihres Geschäftsmodells Gutes tun, etwa durch die Gründung einer Stiftung oder auf dem weiten Feld der Corporate Social Responsibility (CSR). Vielmehr wird es darum gehen, im Kerngeschäft selbst einen möglichst hohen „Total Societal Impact“ zu erzeugen.

Der Total Societal Impact, kurz: TSI, ist ein Konzept, das die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) im Jahr 2017 vorgestellt hat. Die intendierte und „umfassende Auswirkung auf die Gesellschaft“ entsteht, sobald ein Unternehmen gesellschaftlich relevante Themen direkt mit seinen Produkten und Services adressiert. Dazu gehören etwa Angebote, die die Gesundheitsversorgung oder die Pflegesituation der Menschen konkret und nachweislich verbessern oder die besonders nachhaltig und gesund sind. Das Konzept des TSI reicht aber weiter: Ethische Richtlinien eines Unternehmens und die Unternehmenskultur sollten in Einklang mit den Werten einer Gesellschaft stehen. Der TSI zeigt sich in der Qualität der Arbeitsplätze, die ein Unternehmen schafft und in seinen gelebten Führungsprinzipien. Er spiegelt sich in der Art und Weise, wie ein Unternehmen Daten behandelt und darin, wie schonend es mit natürlichen Ressourcen umgeht. Er zeigt sich in Transparenz und einer fairen Preisgestaltung. Das Spannende daran ist: „Total Societal Impact“ und unternehmerischer Erfolg gehen Hand in Hand. Investoren bewerten in diesem umfassenden Sinn verantwortungsvoll ausgerichtete Unternehmen schon heute deutlich positiver als den Durchschnitt – um bis zu 19 Prozent. Auch die Gewinnmargen dieser Unternehmen liegen 12,4 Prozent über dem Durchschnitt.

Dies sind klare Indikatoren dafür, dass es sich auch wirtschaftlich auszahlt, das Konzept des „Shareholder Value“ gegen den „Societal Impact“ zu tauschen. Eine gerechtere, ökologisch und sozial stabilere „Erde 5.0“ ist ohne diesen ökonomischen Paradigmenwechsel nicht zu verwirklichen.

16/11/2018|Erde 5.0|