Erde 5.0 – die fünfte industrielle Revolution

Ob „Industrie 4.0“, „Handel 4.0“ oder „Bildung 4.0“ – Wirtschaft und Politik diskutieren mittlerweile intensiv über den digitalen Fortschritt und seine Auswirkungen. Gut so, könnte man meinen, denn die digitale Zukunft ist die wichtigste Gestaltungsaufgabe unserer Zeit. Doch die vermeintliche Aufgeschlossenheit und Modernität der 4.0-Debatten wiegen die Entscheider in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in trügerischer Sicherheit. „4.0“ steht für ein bereits veraltetes Mindset, das die aktuelle und künftige Dynamik der Digitalisierung nicht mehr erfasst.

Um keine gravierenden Fehlurteile zu treffen, müssen wir uns an einen neuen Gedanken gewöhnen: Die exponentielle Leistungszuwachs der IT führt uns geradewegs in die fünfte digitale Revolution. 5.0 steht – vereinfacht gesagt – für die Autonomie der Maschinen. Und wir haben noch nicht einmal ansatzweise begonnen, über die Folgen diese neuen Ära für Wirtschaft und Gesellschaft zu reden.

Die folgende Übersicht zur Industriegeschichte zeigt den qualitativen Sprung von 4.0 zu 5.0 im Kontext des technologischen Fortschritts:

  • Die erste industrielle Revolution beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts, als in England die Dampfmaschine erfunden wurde. James Watt (1736 – 1819) verbessert die Dampfmaschine so, dass sie im 19. Jahrhundert in vielen Branchen die Muskelkraft von Mensch und Tier sowie die Energie aus Wind und Wasser ersetzt und die Massenproduktion ermöglicht. Von Manchester aus findet die neue Technologie schnell ihren Weg aufs europäische Festland und nach Amerika.
  • Die Phase der Hochindustrialisierung wird mit der zweiten industriellen Revolution eingeläutet. Ihr zentrales Merkmal ist die Elektrifizierung. Genies wie Nikola Tesla (1856 – 1943) oder Thomas Alva Edison (1847 – 1931) stehen für die Innovationskraft dieser Zeit. Betrieb, Koordination und Organisation der Produktionsanlagen werden durch elektrischen Strom entscheidend verbessert. Henry Ford erfindet 1913 das Fließband und leistet damit der Arbeitsteilung Vorschub.
  • In den 1960er-Jahren beginnt die dritte industrielle Revolution. Sie dauert bis in die 1990er-Jahre und wird durch die digitale Informationstechnologie getragen. Die Computer setzen sich durch und bringen der Wirtschaft immense Effizienzgewinne. Die Innovationsgeschwindigkeit ist hoch. Die Rechner werden schnell immer leistungsfähiger. 1965 formulierte Gordon Moore, Mitgründer von Intel, sein berühmtes Gesetz, wonach sich die Anzahl der Prozessoren auf einem Computerchip und damit die Geschwindigkeit der Computer binnen zweier Jahre verdoppelt.
  • Die vierte industrielle Revolution zwischen den Jahren 1995 und 2010 wird zur Ära der Vernetzung. Binnen weniger Jahre verbindet das Internet Unternehmen, Menschen und Geräte. Das Mobiltelefon setzt sich durch, und ab 2007 revolutioniert das Smartphone die Kommunikation. Der Pulsschlag der Digitalisierung setzt ein: Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Was vernetzt werden kann, wird vernetzt. Was automatisiert werden kann, wird automatisiert.
  • Die fünfte industrielle Revolution ist gekennzeichnet durch cyberphysische Systeme und das Internet der Dinge (IoT). Sie erlauben nicht nur datenbasierte, automatisierte und KI-gesteuerte Prozesse, Routinen und Services, sondern heben letztlich auch die Schnittstelle zwischen der künstlichen und biologischen Sphäre auf. Die barrierefreie, symbiotische Kollaboration zwischen Mensch und Maschine wird möglich. Aber dieses Miteinander wird letztlich nicht lange überdauern. Die Maschinen und die von ihnen gebildeten Netze streben zur Autonomie. Der Mensch spielt in diesen Systemen künftig keine Rolle mehr; das ist der Qualitätssprung zu 5.0.

Die Zukunft provozieren

Wir kennen das bereits von den „lights-out factories“, Fabriken also, die im Dunkeln bleiben, weil sie ohne die Mitarbeit von Menschen funktionieren. Der betriebswirtschaftliche Hintergrund: Roboter arbeiten nonstop und werden nicht krank. Sie arbeiten so schnell, wie es ihre Mechanik und Elektronik erlaubt. Sie machen keine Fehler. Wenn Unternehmen ihre Belegschaften durch Roboter und Künstliche Intelligenz ersetzen, steigt die Produktivität immens. „Techrepublic“ schildert dazu dieses Beispiel aus China: Die Changying Precision Technology Company, ein Hersteller von Mobiltelefonen, hat 90 Prozent seiner 650 Mitarbeiter durch Roboter abgelöst. Übrig geblieben sind 60 Mitarbeiter, die ein Auge auf die Maschinen haben. Die Produktivität des Unternehmens stieg von 8000 Stück pro Person auf 21.000, also um 162,5 Prozent. Die Fehlerrate in der Produktion sank von 25 auf unter fünf Prozent.

Für die Ära der zunehmend autonomen Maschinen müssen sich die Menschen, die Unternehmen und die Gesellschaft nicht nur wappnen. Vielmehr geht es darum, die Chancen zu erkennen, die sich für eine „Erde 5.0“ ergeben. In volldigitalisierten Wirtschaftssystemen wird die Produktivität steigen. Die Grenzkosten werden so rapide sinken, dass es immer günstiger wird, die digitale Infrastruktur des Wohlstands zu verdichten und über die Welt zu verbreiten.

Und das Beste: Die Wirtschaft floriert, und der Mensch hat frei. Vielen macht das Angst. Warum nur? Die fünfte industrielle Revolution erlaubt es uns, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und unser Zusammenleben neu zu gestalten. Fangen wir doch einfach damit an. Stellen wir uns neue Fragen. Wie organisieren wir ein bedingungsloses Grundeinkommen? Wie schaffen wir den Wandel von einer Gewinn- zu einer Sinnökonomie? Welche Technologien wollen wir forcieren, welche aus ethischen Gründen besser nicht? Wie nutzen wir den Innovationsschub für mehr Gerechtigkeit, Gleichheit und Gleichberechtigung, für den Kampf gegen Hunger und Armut, für den Schutz dieses einen Planeten, der unsere Heimat ist?

Wir haben es in der Hand, diese „Erde 5.0“ zu gestalten. Die Aufgabe, diese Zukunft zu provozieren, nimmt uns niemand ab.

12/07/2018|Erde 5.0|